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Ein Reisebericht


Morgens 04.00 Uhr aufstehen. Kaltes Wasser gegen die Wangen hauen, Zähne putzen und sich im Halbschlaf in die Klamotten quälen. Die Lesung in Pirmasens wartete. Nochmal ab ins Schlafzimmer. Meine Frau bekam im Halbschlaf mit, dass ich dann weg bin. Kurz darauf fiel die Tür ins Schloss. Ich begab mich Richtung Bushaltestelle. Laut Fahrplanauskunft fuhr der Bus 04.25 Uhr. Stimmte aber nicht. Der Fahrplan der Haltestelle verriet, dass er bereits 04.18 Uhr fuhr und damit schneller an der Haltestelle war, als ich. Also mit Sack und Pack wieder über die Straße und schnellstmöglich zur nächsten Straßenbahnhaltestelle gelaufen. Glück gehabt! Die Bahn kam in drei Minuten und brachte mich zum nächsten S-Bahnhof. Während der Fahrt überschlug ich die Zeit und rechnete aus, dass es trotzdem knapp werden wird, den Zug Richtung Pirmasens noch zu bekommen.
Fünf Minuten vor Abfahrt des Zuges spuckte mich die S-Bahn am Hauptbahnhof aus. Da waren Treppen und viele Menschen und Aggressionen in mir, weil ich mein gewolltes Tempo nicht erreichte, mit dem ich die Bahnhofstreppen hinter mich bringen wollte.
Der Plan vom gemütlichen Ankommen am Bahnhof, dem Erwerb von Zeitung und Kaffee, war Geschichte. Ich jagte durch den Bahnhof, vorbei an düster dreinblickenden Bundespolizisten und Ordnungsdienstmitarbeitern, denen ihre Unterbezahltheit ins Gesicht geschrieben stand. Mich sollten sie bitte nicht ansprechen. Ich hatte es eilig. Noch drei Minuten, als ich endlich in Erfahrung brachte, auf welchem Gleis der Zug mich zu versetzen plante. Getreu dem Motto: Bin ich schon weg – bist du zu spät.
Im Dauerlaufmodus rannte ich durch den Hauptbahnhof. Des Touristen liebstes Labyrinth in der Stadt. Ich hasste es.
Dann sah ich Gleis 7. Ich wollte die Treppe runter, wäre vor mir nicht der alte Herr mit seinem Gehstock gewesen, der so langsam herunter humpelte, dass er niemals den gleichen Zug wie ich erreichen wollte. Ich stoppte. Wäre fast gegen ihn gefallen, was mindestens ein Verfahren an grobfahrlässiger Körperverletzung mit sich gebracht hätte. Und wenn die Staatsanwaltschaft herausgefunden hätte, wie ich politisch ticke, wäre ich um versuchten Totschlag nicht drumrum gekommen.

Eine Minute später betrat ich den Zug. Den meckernden Alten auf der Treppe ließ ich zurück.
Und dann saß ich da, ganz dekadent gegenüber meinem reservierten Sitzplatz. Auf dem lag eine junge, pummelige Frau und hörte den Wanzen auf den Sitzen beim Husten zu. Mir egal. Hauptsache sitzen. Mir lief der Morgenschweiß den Rücken hinunter. Egal, jetzt konnte kommen, was kommen sollte. Ich saß im Zug und fuhr bis Mannheim.
Als der Zug Berlin verließ, erhob ich mich, lief zur Mitropa und bestellte einen von diesen teuren Kaffees. Doch die Mitropafrau registrierte mich nicht. Sie stand an ihrer kaffeeaufschäumenden Maschine, ließ es spritzen und dampfen und würdigte mich keines Blickes. «Hallo?» «Hallo?» Meine Worte wirkten freundlich, aber bestimmt. Nur etwas zu leise. Egal! Ich freute mich auf meinen Kaffee aus ihrer Maschine. Ich liebte diesen Duft. Dieses Geräusch und dann war sie weg. Sie ging mit ihrem kaffeegedeckten Tablett, bediente die Menschen in der ersten Klasse und ich fühlte mich wie ein Mensch zweiter Klasse.
Dann kam sie wieder und sprach mich in einer Art und Weise an, als hätte sie mich erst jetzt bemerkt. Egal! Ich bestellte einen großen Kaffee. War er auch noch so teuer. Die Barfrau fummelte erst an sich herum und dann einen Plastikbecher aus ihrem Regal. Dann lief sie mit diesem Richtung Kaffeemaschine, deren Duft und Geräusche noch immer Lust auf Kaffee verbreitete. Aber Moment, so nicht. Was sollte das? Sie bediente nicht ihre Kaffeemaschine. Sie stellte den Becher unter eine dieser überdimensionalen Thermoskannen. Die, die man auch im Krankenhaus gebraucht. Okay, alte Schachtel. Ich danke für den Kaffee, aber dein Trinkgeld von 0,20€ hast du dir damit verscherzt.

Zurück im Abteil durfte ich endlich meinen reservierten Sitzplatz beanspruchen, denn die junge pummelige Frau machte sich auf, erst das Abteil und dann auch den Zug zu verlassen.
Und dann kam er. Der Mann in Sportschuhen und scheinbar feinem Anzug. Das Ebenbild aller Pendler zwischen Berlin und sonst einer Stadt. Er schaute mich an. Sein Blick hatte etwas provokantes, etwas herausforderndes und ekliges. Sein Gesicht wirkte so schmal wie sein Resthaar auf seinem Kopf. Dann streckte er seine Beine aus und schob sein Gebein direkt zwischen meins. Entrüstet forderte ich meine unteren Genitalien zum Rückzug auf. Seine blieben ausgestreckt. Ich musterte seine billigen Sportschuhe. Sie passten nur bedingt zum Rest der Kleidung.
Dann sprang die Tür auf. Sein Gebein sprang zurück. Fahrkartenkontrolle. Während ich mich auf die Suche nach meinem Ticket begab, zückte dieser Schnösel seine Bahncard 100. Damit gehörte er für mich zu dieser Art Pendler, die zu viel Geld verdienen. Nach etlichen bösen Blicken verließ dieser Unsympath dann den Zug und machte Platz für den nächsten. Der stieg in Göttingen ein. Seine Herkunft, Schweizer, sah man ihm an. Er legte eine Kompromisslosigkeit an den Tag, die ich so noch nie kennengelernt hatte. Auch er streckte seine Beine aus. Und nein, ich zog meine diesmal nicht zurück. Bis er mit seinen Füßen auf meinen stand und dabei Geräusche von sich gab, die mir zeigten, wie sehr er Füße mochte. Es mussten nicht einmal meine sein. Irgendwelche Füße. Austauschbar. Ich verließ mit Sack und Pack das Abteil und setzte mich in die Mitropa zu der Frau mit dem Kaffee.

Am frühen Nachmittag erreichte ich Pirmasens gemeinsam mit dem Regen. Da ich unterwegs nicht schlief, freute ich mich bereits auf mein Hotelbett. Dank Google-Maps verlief ich mich nur dreimal, ehe ich mein Hotel in Plattenbauweise erreichte. Pirmasens schien als Stadt Charakter zu haben. Eine Stadt der Extreme. Brutale Armut hier, brutaler Reichtum dort. Dazu viel Leerstand, der mir aus Berlin so bekannt ist wie ein Sommer mit 45 Grad im Schatten. Die Straßen Pirmasens spiegelten die Stadt wunderbar wieder. Ein Auf und Ab. Nach einem zweistündigen Nickerchen machte ich mich auf den Weg zum Kunstgenuss. 

 
Eine Location, die es, im Gegensatz zur Stadt, schafft, einen Mittelweg zu finden. In diesem Fall zwischen Veranstaltungsort und Cafè. Die Veranstalter agierten hochprofessionell und ich durfte mir eingestehen, dass ich mich an diesem Ort wohlfühlte.
Um kurz nach 20.00 Uhr erhob ich dann meine Stimme und las zum ersten Mal aus «Die Reise zurück zum Glück.» Das Einzige, wovor ich bei einer Lesung Angst habe, ist, das Publikum nicht zu erreichen. Diese Angst schluckte ich schnell herunter, weil sie unangebracht war. Das Publikum bewies das gleiche hohe Niveau wie die Location und die Veranstalter, ein toller Abend war das in Pirmasens, der leider viel zu schnell verging. Aber irgendwann komme ich wieder. Versprochen! 

 

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